Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 09.02.2022 – Az. L 3 R 662-21 – Rentenversicherungspflicht eines „Ein-Mann-Franchise-Nehmers“ (Leiter eines Nachhilfeinstitutes)

I.    Sachverhalt (vereinfacht)

  1. Der Kläger schloss mit der U-GmbH einen „Folge-Franchise-Vertrag (FFV)“. Hiernach war der Kläger berechtigt, eine Nachhilfeeinrichtung für Schüler nach dem Konzept der Franchisegeberin zu betreiben. Seit 2009 bot der Kläger entsprechende Schülerhilfe-Kurse an und unterrichtete dort selbst seine Schüler, mit denen er Unterrichtsverträge abgeschlossen hatte. Einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigte der Kläger nicht.

 

  1. Die Beklagte hatte noch im Jahr 2004 festgestellt, dass der Kläger seit 1999 als selbstän­diger Lehrer der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung unterliege, § 2 S. 1 Nr. 1 SGB VI.

 

  1. 2018 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass der Schwerpunkt seiner Tätigkeit nicht mehr im Unterricht, sondern in der Organisation und Verwaltung der Nachhilfeeinrichtung liege, und bat um Feststellung, nicht länger der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht zu unterliegen.

 

  1. Dem folgte die Beklagte nicht. Sie traf die Feststellung, dass der Kläger weiterhin versi­cherungspflichtig in der Rentenversicherung ist. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, den die Beklagte zurückwies. Der Kläger erhob sodann Klage vor dem Sozialgericht Köln. Das Sozialgericht Köln wies die Klage allerdings ab. Der Kläger legte gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln Berufung vor dem Landessozialgericht NRW ein.

 

II.    Entscheidungsgründe

Dies allerdings ohne Erfolg. Nach Auffassung des Landessozialgerichts NRW sei die zulässige Berufung in der Sache unbegründet. Der Kläger sei in der Tat rentenversicherungspflichtig.

 

  1. Nach § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI sind (auch) selbstständige tätige Personen in der Rentenversicherung versicherungspflichtig, die a) im Zusammenhang mit ihrer selbstständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen und b) auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind.

 

  1. Dies war nach Ansicht des Landessozialge­richts NRW bei dem Kläger der Fall.

 

  1. a) Die Tätigkeit des Klägers als Leiter eines Nachhilfeinstitutes stelle eine selbstständige Tätigkeit dar. Der Kläger habe auch keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt.

 

  1. b) Der Kläger sei entgegen seiner Auffassung auf Dauer und im Wesentlichen auch nur für eine Auftraggeberin tätig und damit wirtschaftlich von ihr abhängig. Die Franchisegeberin des Klägers müsse als Auftraggeber im Sinne von § 2 S. 1 Nr. 9 b) SGB VI eingeordnet werden, wenn man den Sinn und Zweck der Bestimmung und den Willen des Gesetzgebers berücksichtige. Danach sollten „Ein-Mann-Franchisenehmer“ in die Rentenversicherungspflicht einbezogen werden. Dies gelte nicht nur für Franchisesysteme, die auf den Vertrieb von Handelswaren ausgerichtet sind, sondern auch für Dienstleistungsfranchisesysteme. Die dafür erforderliche Abhängigkeit ergebe sich aus den Bestimmungen des (auch so gelebten) Franchisevertrages.

 

  1. aa) Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts unterliege bereits die räumliche Ausgestaltung der selbstständigen Tätigkeit des Franchisenehmers erheblichen Einschränkungen. Dieser benötige für sämtliche Handlungen (Anmietung neuer Räume, Ausgestaltung der Räume, etc.) die Zustimmung der Franchisegeberin.

 

  1. bb) Der Kläger könne sein Angebot auch nicht inhaltlich nach seinen Vorstellungen ausge­stalten. Der Kläger sei vielmehr verpflichtet, die Kurse auf Grundlage des von der Fran­chisegeberin überlassenen Know-hows an­zubieten und durchzuführen und deren Kon­zept zu übernehmen.

 

  1. cc) Der Kläger sei wirtschaftlich abhängig, da er vertraglich zur Zahlung diverser Gebühren verpflichtet sei. Dies betreffe etwa die Basisgebühr in Höhe von € 962,26, die Zertifizierungsgebühr in Höhe von € 39,38, die Online-Center-Gebühr in Höhe von € 30,25 und die Marketinggebühr in Höhe von € 680,24. Nach der Auffassung des Landessozialgerichts NRW müsse der Kläger weit mehr als 40 % seiner Einnahmen an die Franchisegeberin abführen.

 

  1. dd) Der Kläger könne auch keine weiteren nen­nenswerten unternehmerischen Tätigkeiten entfalten, um die wirtschaftliche Abhängigkeit von der Franchisegeberin auszugleichen. Dies liege zum einen an dem vertraglich vereinbarten Wettbewerbsverbot. Zum anderen habe der Kläger wöchentlich mindestens 30 Stunden für die Leitung des Nachhilfeinstitu­tes aufzuwenden und daneben selbst Kurse mit einem wöchentlichen Aufwand von ca. 6 Stunden abzuhalten. Andere unternehmerische Tätigkeiten seien dem Kläger bereits aus Zeitgründen nicht möglich.

 

III.    Zusammenfassung / Fazit

 

  1. Selbstständige „Ein-Mann-Franchise-nehmer“ ohne Arbeitnehmer, aber mit umfassender eigener höchstpersönlicher Tätigkeit unterliegen regelmäßig der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung. Dies gilt sowohl für das Waren-Franchising als auch für das Dienstleistungs-Franchising.

 

  1. Soll die Rentenversicherungspflicht des „Ein-Mann-Franchisenehmers“ vermieden werden, bleibt nur die Anstellung sozialversicherungspflichtiger Arbeitnehmer oder die Aufnahme weiterer unternehmerischer Tätigkeiten außerhalb der Franchisetätigkeit. Dies schließt die Rentenversicherungspflicht rechtssicher aus.

 

  1. Franchisegebern ist zu empfehlen, die Franchiseverträge um einen Hinweis auf eine mögliche Rentenversicherungspflicht des Franchisenehmers zu erweitern.

 

 

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