Der Bundesgerichtshof (BGH, Az. I ZR 229 / 15) hatte mit Urteil vom 21.07.2016 über den Ausgleichsanspruch eines Kommissionsagenten zu entscheiden. Der Kommissionsagent ist wie der Franchisenehmer auch regelmäßig in die Vertriebsorganisation des Vertriebsunternehmens eingebunden. Anders als der Franchisenehmer handelt er aber zwar im eigenen Namen, aber auf Rechnung des Vertriebsunternehmens (Kommittent). Nach herrschender Meinung besteht für einen Franchisenehmer bei Beendigung des Franchisevertrages ein Ausgleichsanspruch entsprechend § 89b HGB, wenn er
a) einem Handelsvertreter vergleichbar in die Absatzorganisation des Franchisegebers eingebunden ist und
b) verpflichtet ist, dem Franchisegeber bei Vertragsbeendigung den aufgebauten Kundenstamm zu übertragen.
Die Voraussetzung nach b) soll nach Ansicht des VII. Senats des Bundesgerichtshofes nicht vorliegen, wenn es sich um ein anonymes Massengeschäft handele, bei dem es bei Beendigung des Franchisevertrages bloß zu einer faktischen Kontinuität des Kundenstammes komme (BGH, Az. VII ZR 109 / 13). Der I. Senat distanziert sich in der hier besprochenen Entscheidung vom VII. Senat.
I. Sachverhalt
1. Die Beklagte betreibt bundesweit von ihr selbst angemietete Sonderpostenmärkte unter der Bezeichnung „T.P.“. Die Märkte wurden von selbstständigen Marktleitern, wie der Klägerin, auf Provisionsbasis geführt.
2. Die Klägerin war zunächst Marktleiterin eines solchen Sonderpostenmarktes für die Beklagte. Aufgrund eines Vertrages führte die Klägerin danach einen Sonderpostenmarkt an einem anderen Standort für die Beklagte. Dieser Vertrag räumte der Klägerin das Recht zum Betrieb des Marktes unter der Firmenbezeichnung „T.P.“ ein. Die Klägerin sollte den Betrieb auf eigene Rechnung und eigene Gefahr als selbstständiger Kaufmann betreiben. Dabei sollte die Klägerin die Kunden des Marktes im eigenen Namen, aber auf Rechnung der Klägerin bedienen (sog. Kommissionär / Kommissionsagent). Die Forderungen gegen die Kunden aus dem Warenverkauf von Waren sollten daher als Forderungen der Beklagten gelten. Die Klägerin hatte diese Forderungen aus dem Verkauf vollständig an die Beklagte abzutreten. Die Klägerin war ferner verpflichtet, das Kassensystem der Beklagten zu verwenden.
3. Als Vergütung erhielt die Klägerin eine Verkaufsprovision vom Nettoumsatz, mit der alle Aufwendungen (wie Löhne, Betriebskosten, Versicherungen) abgegolten waren.
4. Die Beklagte kündigte den Vertrag mit der Klägerin im Juli 2014. Daraufhin machte die Klägerin u. a. einen Ausgleichsanspruch in Höhe von ca. € 300.000,00 brutto geltend.
Das Landgericht gab der Klage in Höhe von ca. € 50.000,00 statt. Das OLG Oldenburg verurteilte die Beklagte zur Zahlung eines Betrages in Höhe von ca. € 190.000,00. Hiergegen wendete sich die Beklagte mit der Revision an den Bundesgerichtshof.
II. Entscheidungsgründe
Der Bundesgerichtshof bestätigte die Entscheidung des Oberlandesgerichts und wies die Revision zurück.
1. Die Parteien hätten einen Kommissionsagenturvertrag gemäß §§ 383ff HGB abgeschlossen.
a) Die Klägerin sei wie ein Kommissionär für die Beklagte aufgetreten, da sie Geschäfte in eigenem Namen, aber auf Rechnung der Beklagten geführt und an dem wirtschaftlichen Erfolg der Beklagten in Form der vereinbarten Provision teilgenommen habe. Da die Klägerin ständig mit Geschäften der Beklagten betraut gewesen sei, sei sie als Kommissionsagent einzuordnen. Dafür spreche auch die Pflicht zur Abtretung sämtlicher Forderungen gegen die Kunden an die Beklagte.
b) Dass die Klägerin auf eigene Rechnung und Gefahr den Markt zu führen hatte, stehe dem nicht entgegen. Diese Regelung diene lediglich der Klarstellung, dass die Klägerin generell für die Aufwendungen des Betriebes verantwortlich sei. Die Klägerin sei daher nicht als Franchisenehmerin anzusehen. Ein solcher handele als Eigenhändler auf eigene Rechnung, weil er die Ware entgeltlich erwerbe, den Erlös der Ware behalte und dem Franchisegeber für dessen Leistungen eine Gebühr zahle. Auch ein Handelsvertretervertrag liege nicht vor, weil der Handelsvertreter nicht im eigenen Namen, sondern im fremden Namen (des Handelsunternehmens) Geschäfte abschließe oder Geschäfte nur vermittele.
2. Auf den Kommissionsagenturvertrag sei § 89b HGB entsprechend anwendbar.
a) Die erforderliche Eingliederung der Klägerin in die Absatzorganisation der Beklagten liege vor. Die Klägerin sei dauerhaft als Kommissionsagentin tätig gewesen und habe damit ähnlich einem Handelsvertreter mit der Werbung um Kunden ein Geschäft der Klägerin betrieben.
b) Auch die Pflicht der Klägerin zur Überlassung des Kundenstammes bei Vertragsende liege vor. Die Pflicht müsse nicht ausdrücklich vertraglich geregelt werden.
aa) Die Verpflichtung zur Überlassung des Kundenstammes eines Kommissionärs ergebe sich bereits aus § 384 Abs. 2 HGB. Demnach habe der Kommissionär dem Kommittenten von der Ausführung der Kommission Anzeige zu machen, wozu auch die Benennung des Namens des Dritten, an den veräußert worden ist, gehört, § 384 Abs. 2 Halbsatz 1 HGB. Auch sei der Kommissionär verpflichtet, über das Geschäft Rechenschaft abzulegen und das herauszugeben, was er aus der Geschäftsbesorgung erhalten habe, § 384 Abs. 2 Halbsatz 2 HGB. Der Kundenstamm falle daher bei der Kommissionsagentin bei Vertragsende schon kraft Gesetzes dem Lieferanten zu, ohne dass es einer besonderen vertraglichen Verpflichtung zur Überlassung bedürfe.
bb) Die Verpflichtung zur Übertragung sei auch nicht vertraglich abbedungen worden. Der Umstand, dass der Betrieb eines Sonderpostenmarktes ein anonymes Massengeschäft darstelle, könne nicht den Schluss auf eine konkludente Abbedingung der Pflicht zur Überlassung des Kundenstammes rechtfertigen.
cc) Auch in tatsächlicher Hinsicht sei eine Übertragung eines individualisierbaren Kundenstammes erfolgt, selbst wenn der Beklagten nicht die Namen und Anschriften aller im Markt einkaufenden Endkunden übermittelt worden seien. Es reiche aus, dass die Beklagte alle Daten erhalten habe, die die Beklagte für eine Übernahme des von der Klägerin geworbenen Kundenstammes benötige.
Die Vorteile dieses Kundenstammes könne die Beklagte sich bei Vertragsende sofort und ohne weiteres nutzbar machen. Die Beklagte betreibe filialähnlich organisierte Sonderpostenmärkte in von ihr angemieteten Räumen. Es bestehe daher eine Ähnlichkeit mit dem Betrieb von Tankstellen durch Handelsvertreter. Für die Nutzbarkeit des Kundenstammes sei daher maßgeblich auf die Übergabe des Geschäftsraumes bzw. die Weiterführung des Betriebes am gleichen Ort abzustellen. Dies sei vorliegend der Fall. Es liege daher eine faktische Kontinuität des Kundenstammes vor.
dd) Beim anonymen Massengeschäft benötige der Hersteller für die Übernahme des Kundenstammes nicht in gleicher Weise wie beim Verkauf hochwertiger Wirtschaftsgüter den Zugang zu vollständi-gen Kundendaten. Vielmehr seien in erster Linie Informationen über den Verkaufsvorgang an sich erheblich, um abzuschätzen, welche Art von Waren am jeweiligen Standort in welchen Mengen nachgefragt werde. Die Beklagte habe selbst festgelegt, welche Informationen sie über die Klägerin beziehe, weil sie die Klägerin verpflichtet habe, ihr vorinstalliertes Kassensystem zu nutzen. Damit habe die Beklagte ständigen Zugriff auf Informationen zu allen Verkaufsvorgängen und auf sämtliche von den Kunden im Rahmen des Bezahlvorgangs mitgeteilten personenbezogenen Daten gehabt.
3. Auch die Höhe des Ausgleichsanspruches sei richtig bemessen worden.
Grundlage für die Berechnung seien alle im letzten Vertragsjahr gezahlten Provisionen, wobei nur die mit Stammkunden erzielten Umsätze zu berücksichtigen seien. Diese habe das Oberlandesgericht zutreffend auf 60 % geschätzt.
Zutreffend habe das Oberlandesgericht Abschläge hiervon für die nicht ausgleichspflichtigen Vermittlungs- und Abschlusstätigkeiten der Klägerin, ersparte Betriebs-und Personalkosten, der Sogwirkung der Marke der Beklagten und einer Abwanderungsquote von Kunden vorgenommen. Der ermittelte Betrag sei zutreffend mit einem Zinssatz von 2 % abgezinst und mit Mehrwertsteuer ausgeurteilt worden.
III. Fazit
Die Entscheidung bringt Brisanz in das Vertriebsrecht.
Der VII. Senat des Bundesgerichtshofes hatte mit Urteil vom 05.02.2015 (BGH, Az. VII ZR 109/13) den Ausgleichsanspruch eines Franchisenehmers im Falle des anonymen Massengeschäftes abgelehnt. Nunmehr bejaht der I. Senat in einem vergleichbaren Fall bei einem Kommissionsagenten dagegen einen Ausgleichsanspruch. Um nicht in Widerspruch zum I. Senat zu geraten, betonte er die Besonderheiten des Kommissions(agentur)vertrages.
Die Differenzierung zwischen einem Kommissionsagenten und Franchisenehmer kann nicht überzeugen. Es trifft zwar zu, dass der Kommissionsagent anders als der Franchisenehmer bereits von Gesetzes wegen zur Übertragung der Kundendaten verpflichtet ist. Maßgeblich kann jedoch allein sein, dass gerade die (ggf. auch anonymen) Daten des Kunden dergestalt übertragen werden, dass es zu einer reibungslosen Fortsetzung des Verkaufsvorganges durch den Franchisegeber oder durch einen von ihm benannten Nachfolger kommt. Dabei kann nicht erheblich sein, ob im Franchisevertrag eine ausdrückliche Pflicht zur Übertragung des Kundenstammes bei Beendigung des Franchisevertrages oder lediglich eine Pflicht enthalten ist, das vom Franchisegeber vorgegebene Kassen-/EDV-System zu nutzen, über das es fortlaufend bereits während der Laufzeit des Franchisevertrages zur Übertragung von Kundendaten an den Franchisegeber kommt.
Die Entwicklung im Franchiserecht zum Ausgleichs-anspruch des Franchisenehmers analog § 89b HGB ist also weiterhin nicht abgeschlossen.