I. Sachverhalt (vereinfacht)
- Die Klägerin begehrt u. a. einen Ausgleichsanspruch gemäß § 89b HGB analog in Höhe von € 2.374.203.
Die Klägerin ist eine Aktiengesellschaft, die sich auf die Herstellung und den Vertrieb von Sensoren und Steuerungstechnik für medizinisch-technische Anwendungen spezialisiert hat. Die Beklagte gehört zu dem weltweit agierenden H. Konzern, der in den Bereichen Chemikalien, Luft- und Raumfahrt, Transport, Automatisierung und der Rüstungsindustrie tätig ist. Die Beklagte gehört dem Konzernbereich „Sensing and Control“ an, der mit dem Vertrieb und der Herstellung von Sensoren befasst ist.
- Ende Februar 2003 wurde zunächst ein Vertragshändlervertrag mit einem Exklusivrecht abgeschlossen, der Mitte Dezember 2008 schloss durch einen neuen Vertriebsvertrag ersetzt wurde, der als „Authorised Distributor Agreement“ (im Folgenden: ADA), benannt wurde. In diesem Vertrag wurde der Klägerin keine Exklusivität mehr gewährt.Die Klägerin wurde auf dieser Grundlage auf folgende Art und Weise tätig:
– Sie vertrieb als Vertragshändlerin sog. Standard-Produkte der Beklagten, die Parteien sprachen diesbezüglich auch von dem POS-Geschäft.
– Daneben baute die Klägerin teilweise Produkte der Beklagten in eigene Produkte ein, um diese sodann zu verkaufen („Bundle-Geschäft“).
– Schließlich modifizierte die Klägerin auch Produkte der Beklagten und vertrieb sie anschließend unter eigener Marke („ValueAdd-Geschäft“). Produkte der Beklagten, die die Klägerin zum Zwecke des „Bundle-Geschäfts“ und des „ValueAdd-Geschäfts“ von der Beklagten bezog, wurden von den Parteien als „Nicht-Standard-Produkte“ („Non-Standard-Products“) bezeichnet.
- Im ADA ist in Ziffer 8.1. zu den Berichtspflichten geregelt
„Spätestens am zehnten Tag eines jeden Monats schickt der Distributor (Klägerin) folgende Informationen an Budde Marketing (oder einen anderen von H. Beauftragten): (a) einen Bericht über die Verkaufsstelle („POS“) am Monatsende in einem von H. vorgegebenen und zusammen mit dem Distributor abgestimmten Format (eine derartige miteinander geschlossene Vereinbarung bezieht sich nur auf das Format, jedoch nicht auf den Inhalt des POS-Berichts), der insbesondere Angaben zu Produkttyp.“
Für diese POS-Berichte gemäß Ziffer 8.1. ADA übermittelte die Beklagte weiterhin an die Klägerin einen Vorschlag bezüglich des Inhaltes und Form, das „Proposed EMEA POS Template“. Darin war vorgesehen, neben Angaben zu verkauftem Produkttyp, verkaufter Menge und Kaufpreis auch den Namen des Kunden samt Land und Stadt des Sitzes anzugeben.
- Die Klägerin stimmte ihre in der Folgezeit monatlich erstellten POS-Berichte entsprechend diesen Vorgaben ab und gab folglich auch die Kundennamen samt Land und Stadt ihres Sitzes an. Die Berichte wurden an die Beklagte wie auch an die in Ziffer 8.1. ADA erwähnte Firma Bu. Marketing übersandt. Darüber hinaus wurden Quartal-, Lagerstands- und NBO-Berichte („New Business Opportunity) angefertigt. Außerdem nahmen die Vertreter beider Parteien an den jeweiligen „Sales Conferneces/Meetings“ der anderen Seite teil, um die Markt- und Preissituation zu besprechen.
- Anfang Juli 2012 kündigte die Beklagte das ADA ordentlich zum 03.01.2013, worauf es unter anderem zum Rechtsstreit über den Ausgleichsanspruch der Klägerin entsprechend § 89b HGB kam. Nachdem das Landgericht der Klage auf Zahlung des Entschädigungsanspruches voll stattgegeben hatte, musste nunmehr das OLG München im Rahmen der Berufung über die Anwendbarkeit von § 89b HGG entscheiden.
II. Entscheidungsgründe
Nach Auffassung des OLG München war die die zulässige Berufung der Beklagten gegen ihre Verurteilung zur Zahlung eines Ausgleichsanspruches nach § 89b HGB in vollem Umfang begründet.
- Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte aus § 89b HGB direkt oder analog.
- a) Eine direkte Anwendung des 89b HGB scheidet aus, da die Klägerin keine Handelsvertreterin war. Sie handelte weder im Namen der Beklagten noch vermittelte sie der Beklagten Geschäfte im Sinne des § 84 Abs. 1 HGB.
- b) Auch eine analoge Anwendung der Norm komme nicht in Betracht. Bei Abwägung aller maßgeblichen Kriterien sei im konkreten Fall keine ausreichende Einbindung der Klägerin in die Absatzorganisation der Beklagten gegeben, um eine Analogie gemäß § 89b HGB bejahen zu können. Eine Analogie komme nur unter folgenden Voraussetzungen in Betracht:
- aa) Zwischen dem Vertragshändler und dem Hersteller oder Lieferanten muss ein Rechtsverhältnis bestehen, das sich nicht in einer bloßen Käufer-Verkäufer-Beziehung erschöpft. Aufgrund der vertraglichen Abmachungen müsse der Vertragshändler in die Absatzorganisation des Herstellers oder Lieferanten derart eingliedert sein, dass er zum einen wirtschaftlich in erheblichem Umfang dem Handelsvertreter vergleichbare bei Vertragsbeendigung dem Hersteller oder Lieferanten seinen Kundenstamm zu übertragen habe, so dass sich dieser die Vorteile des Kundenstamms sofort und ohne weiteres nutzbar machen kann.
Dies sei bereits nicht gegeben, da die Klägerin nicht in die Absatzorganisation der Beklagten eingebunden gewesen sei, dass sie wirtschaftlich weitgehend Aufgaben wie ein Handelsvertreter erfüllt habe. Hierzu hätte sie sich für den Vertrieb der Erzeugnisse der Beklagten wie ein Handelsvertreter einsetzen und Bindungen unterliegen müsse, wie sie für einen Handelsvertreter typisch seien (BGH NJW-RR 1993, 678, 679).
- bb) Entscheidend sei auch, ob der Vertragshändler mit der Übernahme der Vertragspflichten sich eines bedeutenden Teils seiner unternehmerischen Freiheit begeben hab (BGH NJW-RR 1993, 678, 679; OLG Köln BeckRS 2013, 2968 unter II 1 a). Dies sei durch eine Abwägung im Einzelfall zu ermitteln (OLG Köln BeckRS 2013, 2968 unter II 1 a). Beurteilungsgrundlage sei dabei vorliegend ausschließlich der Vertrag, den die Parteien am 14.12.2008 geschlossen haben („ADA“).
Vorliegen seien zwar Indizien gegeben, die grundsätzlich für eine Eingliederung der Klägerin in die Absatzorganisation der Beklagten sprechen. Dies seien die Berichtspflichten und die daraufhin tatsächlich erstatteten Berichte. Das Ausmaß der Berichtspflichten und der vertriebsbezogenen Regeln werde jedoch erheblich relativiert: Die Quartalsberichte seien zwar von der Klägerin tatsächlich erstattet worden, jedoch habe das ADA dafür keine vertragliche Verpflichtung vorgegeben. Gleiches gelte für die NBO-Berichte, die im Übrigen dazu dienten, dass die Klägerin einen Sonderrabatt von der Beklagten erlangte. In der Entscheidung, einen NBO-Bericht zu fertigen, um derartige Rabatte in Anspruch nehmen zu können, sei die Klägerin frei gewesen. Die NBO-Berichte seien eher Ausdruck der unternehmerischen Freiheiten der Klägerin und nicht – umgekehrt – deren Beschränkung. Auch die Lagerberichte hätten den Zweck, Sonderpreisvereinbarungen der Parteien zu kontrollieren. Die Lagerstandsberichte bildeten die Basis dafür, dass die Klägerin in Ausübung ihrer unternehmerischen Freiheit Sonderpreise mit der Beklagten habe aushandeln können. Hinsichtlich der POS-Berichte habe das ADA der Beklagten lediglich das Recht, Vorgaben zum Format, jedoch nicht zum Inhalt zu machen.
Die Berichte hätten damit in beiderseitigem Interesse gelegen, was auf ein ausgewogenes Käufer-Verkäufer-Verhältnis zwischen den Parteien hindeutet.
- cc) Auch der Gesichtspunkt der Beachtung der vertriebsbezogenen Regelungen zwischen den Parteien werde relativiert.
Das im ADA zugeteilte (große) Marktgebiet und die (weite) Produktpalette wirkten sich nicht als Einschränkungen der unternehmerischen Freiheit der Klägerin aus. Die im ADA vorgesehene Lagerhaltungspflicht und die Verpflichtung der Klägerin, qualifiziertes Personal einzusetzen, seien nur äußerst allgemein gehalten. Auch die Pflicht, beste Bemühungen zur Förderung des Vertriebs anzuwenden, sei nur sehr abstrakt und geht über die Umschreibung einer Selbstverständlichkeit in einer Vertriebsbeziehung. Die Buchführungspflicht und das Buchprüfungsrecht der Beklagten bezweckten ausweislich der Regelungen im ADA lediglich eine Schadensabwehr bei der Beklagten und gehen mithin über den normalen Verkäuferschutz nicht hinaus. Zur Durchführung der gemeinsamen Kundenbesuche sei die Klägerin vertraglich nicht verpflichtet.
Gegen eine Einbindung seien auch die Freiheiten der Klägerin bei der Ausgestaltung ihrer Geschäfte mit ihren Kunden. Derartige Freiheiten seien ein Indiz gegen eine Analogie zu § 89b HGB, da ein Handelsvertreterverhältnis typischerweise gerade auch durch relativ weitreichende Weisungsrechte des Prinzipals gemäß § 665 BGB gekennzeichnet sei (BGH NJW-RR 2007, 1327 Tz. 21). Zudem habe die Klägerin auf der Grundlage des ADA nicht ausschließlich als Händlerin, sondern gleichzeitig als Produzentin agiert. Die Klägerin habe, indem sie die Produkte der Beklagten nach eigenen Bedürfnissen verändern und sodann unter eigener Marke vertreiben durfte, einen Weiterverarbeitungsmehrwert. Sie habe damit nicht als Teil des Vertriebsnetzes der Beklagten innerhalb der Absatzorganisation der Beklagten, sondern als eigenständige, im eigenen Interesse auftretende Herstellerin und Verkäuferin ihrer Produkte gearbeitet (BGH NJW-RR 2007, 1327 Tz. 22).
- Nach Abwägung aller maßgeblichen Aspekte sei nach Ansicht des Senats davon auszugehen, dass vorliegend nicht von einer ausreichenden Einbindung der Klägerin in die Absatzorganisation der Beklagten ausgegangen werden kann, so dass eine mit einem Handelsvertretervertrag vergleichbare Interessenlage nicht bestehe. Eine analoge Anwendung des § 89b HGB scheidevorliegend aus.
III. Fazit
Das OLG München beschränkt sich vorliegend nicht auf die Subsumtion der Analogievoraussetzungen für die Anwendbarkeit der Bestimmung des Handelsvertreterrechts, hier des § 89b HGB, indem es die Einbindung des Vertriebspartners in die Absatzorganisation wie bei einem Handelsvertreter und die Pflicht zur Übertragung des Kundenstammes prüft.
Neu ist, dass das OLG München bei der Frage der Einbindung in die Absatzorganisation des Vertriebspartners insgesamt auf eine wertende Betrachtung abstellen möchte. Die Frage Einbindung sei durch eine Abwägung aller Kriterien im Einzelfall zu ermitteln. Auf eine derartige Abwägung im Einzelfall sollten sich die Vertriebsunternehmen künftig einstellen.